Daten des Buches:
Titel: Die Tribute von Panem X: Das Lied von Vogel und Schlange
Autorin: Suzanne Collins
Verlag: Oetinger
Erscheinungsdatum: 19.05.2020
Genre: Dystopie
Seitenzahl: 604
ISBN: 978-3-7891-2002-2
CNs: Kannibalismus (Erwähnung), Tod, Tod von Familienmitgliedern, Drogenmissbrauch, Suizidgedanken, Folter, Gewalt, Mord, Geburtskomplikationen mit Todesfolge (Erwähnung), Krieg
Kurzzusammenfassung:
Der achtzehnjährige Coriolanus Snow lebt im Kapitol. Seine Familie hat fast alles im Verlauf des Krieges gegen die Rebellen verloren und alles, was ihm bleibt, um das Studium zu finanzieren, das er machen will, sind herausragende Schulleistungen, damit er ein Stipendium bekommt. Er lebt mit seiner Cousine Tigris und seiner Großmutter zusammen.
Die zehnten Hungerspiele finden in diesem Jahr statt und erstmals sollen den Tributen Mentor*innen an die Seite gestellt werden. Diese wurden unter den Schüler*innen in Coriolanus‘ Klasse ausgewählt. Er selbst wird der Mentor für den weiblichen Tribut aus Distrikt 12. Ausgerechnet Distrikt 12, dem am wenigsten Chance auf den Sieg ausgerechnet werden.
Sein Tribut Lucy Gray Baird macht allerdings schon bei der Ernte Reden von sich und wird schnell interessant – auch für Coriolanus, der mehr als nur fasziniert von ihr ist. Schon bald stellt er fest, dass ihr Schicksal ihn nicht kalt lässt und dass er nicht mehr nur ausschließlich für seinen eigenen Vorteil gewinnen will, sondern auch, weil ihm wirklich etwas an Lucy Gray liegt …
Und darüber hinaus?
Die Leser*innen erfahren hier Einiges über die Geschichte Panems und der Hungerspiele vor der ursprünglichen Trilogie, die sich um Katniss dreht, da sie 64 Jahre vor dem ersten Band spielt. Ausgerechnet der Antagonist der ursprünglichen Reihe, Präsident Snow, ist hier der Protagonist (ich sage bewusst „Protagonist“, ohne moralische Wertung, denn „der Gute“ ist er deshalb noch lange nicht – aber dazu später mehr).
Hier ist Coriolanus jedoch noch weit davon entfernt, Präsident von Panem zu werden. Sein Vater, ein großer Soldat, ist im Krieg gegen die Rebellen gefallen, seine Mutter aufgrund von Geburtskomplikationen gestorben. Auch die Eltern seiner Cousine Tigris (die wir ebenfalls aus der Hauptreihe kennen) sind nicht mehr am Leben und so sind die beiden vor allem von ihrer Großmutter, der „Großmadame“, wie sie sie nennen, aufgezogen worden.
Das Leben der Snows war in diesen Zeiten nicht immer einfach. Das Geld der Familie stammte vor allem aus der Waffenproduktion in Distrikt 13. Da dieser Distrikt (offiziell) während des Krieges zerstört wurde, kämpft die Familie mit Armut; oft reicht es kaum zum Essen und die Möglichkeit, die Wohnung in einer recht wohlhabenden Gegend auch noch zu verlieren, schwebt wie ein Damoklesschwert über der Familie. Tigris arbeitet hart, um ihren Beitrag dazu zu leisten, die Familie durchzubringen und Coriolanus‘ einzige Hoffnung auf ein Studium ist ein Stipendium. Dummerweise hasst der Rektor seiner Akademie ihn und wirft ihm immer wieder Steine in den Weg.
Das Mentorenprogramm könnte den richtigen Anstoß geben, denn bei Erfolg wachsen seine Chancen auf das begehrte Stipendium.
Das Credo der Familie – „Snow landet immer oben“ – wirkt in den harten Zeiten manchmal fast wie ein Hohn. Umso mehr, als er auch noch ausgerechnet dem weiblichen Tribut aus Distrikt 12 als Mentor zugeteilt wird. Wie soll er so denn gewinnen?
Doch Lucy Gray ist besonders – das wird nicht nur Snow schnell klar, als sie bei der Ernte der Tochter des Bürgermeisters, die sie verdächtigt, sie in diese Situation gebracht zu haben, eine Schlange in die Kleidung steckt. Er ist von ihrem Kampfgeist fasziniert und noch viel mehr von ihrer Stimme, denn sie singt fabelhaft.
Und so schöpft er Hoffnung, dass Lucy Gray doch eine Siegerin sein könnte und tut absolut alles, um zu versuchen, ihr Überleben zu sichern – und bald nicht nur, weil seine eigene Zukunft davon abhängt, sondern weil er absolut fasziniert von ihr ist und für sie zu schwärmen beginnt.
Damit hören die Probleme jedoch nicht auf und schon bald muss Coriolanus feststellen, dass diese Spiele nicht nur für die Tribute aus den Distrikten tödlich sind.
Meine Meinung
Ich muss zugeben, dass ich mich ein bisschen schwer mit der Bewertung dieses Buches tue, da ich etwas im Zwiespalt bin.
Erst einmal zu den positiven Sachen: Ich fand es wirklich interessant, mehr über Snow zu erfahren. Ich fand ihn als Antagonisten in den Büchern sehr interessant und es war spannend, hier ein bisschen mehr über seinen Weg dorthin zu lesen. Und ich fand schon, dass deutlich geworden ist, wieso Snow so geworden ist, wie wir ihn als Katniss‘ Gegenspieler und Feind kennen. Auch war es informativ, mehr über die Geschichte der Hungerspiele erfahren; so kommt im Laufe des Buches zum Beispiel heraus, dass viele Entwicklungen der Spiele (z. B. dass es Mentoren gibt oder auch das Dorf der Sieger in jedem Distrikt) gar nicht immer existierten und teilweise sogar auf Snows Mist gewachsen sind. So zum Beispiel auch, dass im Kapitol Wetten auf den Sieger abgeschlossen werden. Oder auch die Sponsorengeschenke waren Snows Idee, der ursprünglich Lucy Gray damit helfen wollte.
Man hat auch immer wieder gemerkt, dass Snow Dinge hinterfragt und hier am Anfang durchaus in einigen Punkten noch so etwas wie ein Gewissen hat. Gleichzeitig kennt er es eben nicht wirklich anders und wie viele andere im Kapitol ist er von den Kriegsjahren geprägt und in gewissem Maße auch traumatisiert. Das wird an verschiedenen Stellen immer wieder deutlich. Er hat beide Elternteile im Laufe des Krieges (durch den Krieg) verloren und ist in dem Glauben aufgewachsen, dass das Kapitol und dessen Regierung die „richtige“ Seite ist. Sein Vater und auch seine Großmutter sind sehr patriotisch dem Kapitol gegenüber und dementsprechend wird deutlich, dass er es einfach auch nicht anders kennengelernt hat.
Wir lernen einen Mitschüler von Snow kennen, Sejanus, der ursprünglich aus Distrikt 2 kommt und dessen Vater es aber geschafft hat, sich aufgrund seines wirtschaftlichen Erfolgs ins Kapitol „einzukaufen“. Sejanus ist ein interessanter Gegenpol zu Coriolanus: Er hält Snow für seinen einzigen Freund (der eher aufgrund möglicher Vorteile diese „Freundschaft“ aufrecht erhält) und aufgrund seiner Vergangenheit in einem der Distrikte steht er gänzlich anders zu den Hungerspielen und der Unterdrückung durch das Kapitol. An manchen Stellen bringt es Coriolanus durchaus zum Nachdenken – auch wenn hier natürlich keine Kehrtwende erfolgt (das würde im Hinblick auf den Snow, den wir aus der Trilogie kennen, auch absolut keinen Sinn ergeben).
Andererseits gibt es für mich auch zwei sehr große Kritikpunkte an dem Roman: Zum Einen die Liebesgeschichte zwischen Snow und Lucy Gray. Mir geht es hier nicht einmal vorrangig darum, dass die Beziehung vom Konzept her irgendwie ziemlich toxisch ist, weil sie auf seine Hilfe angewiesen ist, um die Hungerspiele zu überleben. Das funktioniert in sich sogar noch einigermaßen, weil Lucy Gray ein sehr selbstbewusstes, starkes Mädchen ist, das auch auf sich selbst aufpasst. Sie ist kein hilfloses Mädchen, das sich komplett von ihm abhängig macht. Also ja, die Konstellation ist nicht unproblematisch, aber das ging noch irgendwie. Allerdings macht die Romanze für mich keinen Sinn. Es wird nicht so richtig klar, wieso er diese Gefühle für Lucy Gray entwickelt, außer dass sie hübsch ist und toll singen kann und eben eine selbstbewusste Kämpferin ist. Die beiden kennen sich kaum und ich habe die Gefühle gelesen, aber einfach nicht gespürt und auch nicht nachvollziehen können. Das ist der erste Kritikpunkt.
Zum Anderen das Ende. Die letzten 50-100 Seiten des Romans wirken plötzlich einfach nur gehetzt und es macht ein bisschen den Eindruck, als hätte die Autorin schnell noch fertig werden wollen/müssen. Ich fand das Ende verwirrend und überstürzt und ich hätte mir, auch wenn das Buch eh schon lang ist, hier lieber noch 50 Seiten mehr gewünscht, um den plötzlichen Sinneswandel und Bruch besser nachvollziehen zu können.
Die Autorin hat Snow in den ersten beiden Dritteln des Buches wirklich interessant charakterisiert, hat ihn gut herausgearbeitet und dann wirkt es, als wäre ihr im letzten Drittel spontan eingefallen, dass sie ihn noch irgendwie dazu bringen muss, sich in die Richtung seines späteren Ichs zu bewegen, das wir aus der bisherigen Reihe kannten. Das fand ich nicht gut.
Insgesamt würde ich also sagen, dass das Buch für Fans der Reihe durchaus spannend sein kann und ich fand es schon auch lesenswert und habe es trotz der Länge recht schnell gelesen. Für andere ist das Buch wahrscheinlich eher weniger interessant, denn natürlich gibt es hier am Ende keinen geläuterten Helden.
Man darf nicht vergessen: Snow wird später zum Diktator Panems. Und ja, man kann die Entwicklung hier schon irgendwie ein bisschen sehen. Aber er ist eben kein Held. Er ist der Protagonist seines Buches, aber trotzdem ist er weit davon entfernt, irgendwie der „Gute“ zu sein. Und auch das wird anhand seines Handelns und seiner Gedanken immer wieder deutlich. Er ist kein Sympathieträger. Wer die Hauptreihe kennt, dem ist das aber natürlich sowieso bewusst, insofern hat mich das Buch ganz gut unterhalten.
Obwohl ich Autorin bin, kann ich nicht gut Rezis schreiben. Diese ist klasse und treffend zu meinem Leseeindruck. Vor allem den Schuss habe ich genauso gesehen. Zu schnell, die Abwendung unausgereift. Hm. Schreibstil klasse, fix durchgelesen, Aachselzuckend zugeklappt. Muss nicht zwingend gelesen werden. Typisch für die Buchbranche. Hinterherwerfen und zwar lieber schnell als qualitativ. Verarschung der Leser:innen und auch der Kolleg:innen.
Danke (: Freut mich, dass meine Rezension dir gefallen hat.
Ja, den Schluss fand ich auch wie gesagt nicht so gut gelöst. Ich würde es jetzt nicht als „Verarschung“ bezeichnen, aber ich finde, das Ende hätte auf jeden Fall besser ausgearbeitet werden können.